Terroranschläge, Amokläufe, Unfälle oder neuartige Krankheitsbilder – um Störungen, die den Alltag unterbrechen, formieren sich Erzählungen, die eine Gesellschaft nicht nur verunsichern, sondern im Gegenteil stabilisieren. Denn imaginäre wie auch faktische Störfälle können politische und soziokulturelle Kohärenz stiften, indem sie in den Erzählungen der Gesellschaft symbolisch reintegriert werden. Die Mitglieder der Forschergruppe „The Principle of Disruption“ möchten so ‚Störungen‘ als Ansatzpunkte für die Analyse gesellschaftlicher Selbstbeschreibungsformeln profilieren. Durch die interdisziplinäre Ausrichtung der Forschergruppe zwischen Literatur- und Medienwissenschaft, Wissensgeschichte und (Kultur-)Soziologie wird das Potenzial von Literatur und Musik, Film und TV-Serie sowie theoretischer Figuren der Wissenschaftsgeschichte für die Wahrnehmung und Verarbeitung von Störungen bestimmt.
Die Störung ist ein Phänomen, dem in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen Aufmerksamkeit geschenkt wurde und das etwa in der mathematischen Informationstheorie, in der Philosophie, in den Medien- und Kulturwissenschaften sowie in der Wissensgeschichte als Gegenstand theoretisch verankert ist. Die ertragreichsten Forschungen haben klargestellt, dass Störungen nicht nur destruktive, sondern ebenfalls produktive Auswirkungen haben.
Die Forschungsgruppe „The Principle of Disruption“ möchte daran anknüpfen und die Störung als Ansatzpunkt für die Analyse gesellschaftlicher Selbstbeschreibungsformeln etablieren. Gegenstand der Projektarbeit sind einerseits epistemologische und ästhetische Aspekte der Auf- oder Verstörung, die als Momente der Unterbrechung oder des Ordnungsverlusts Anstrengungen der theoretischen oder praktischen Konsolidierung des Sozialen herausfordern. Andererseits interessiert sich das Projekt für jene resonanzstarken Erzählungen, die politische und soziokulturelle Kohärenz herstellen, indem sie imaginäre oder faktische Störungen – z.B. Terroranschläge, Amokläufe, technische Unfälle, neuartige Krankheitsbilder – symbolisch reintegrieren.
Das Modul „Wissensgeschichte der Störung“ versieht das Projekt mit einer historischen Dimension kulturellen Wissens und untersucht die Störungsdiskurse seit dem 19. Jahrhundert im Hinblick auf die Frage, wie Störung theorieintern als das (vermeintliche) Andere des Normalverlaufs konzipiert wird und wie Theorien selbst mit Ereignissen umgehen, die ihre Beschreibungsroutinen unterbrechen.
Im Modul „Imaginationen der Störung“ wird ein Korpus von Texten, Spielfilmen und TV-Serien darauf hin analysiert, welche Imaginationen und Inszenierungen der Störung dort verhandelt werden und wie diese die soziale Semantik der Gesellschaft adressieren.
Das Modul „Praktiken der Verstörung“ wendet sich der Performanz von Störungen zu. Es folgt der Überlegung, dass sich ästhetische Provokationen ein Wissen über die Wirkungsweise und die Übertragungskanäle der Störung zu eigen machen.
Mit Oliver Fahle, Elisa Linseeisen, Julia Prager, Patrick Primavesi, Kevin Rittberger, Simon Schleusener, Martin Schneider 26. – 27.10.2017 TU Dresden Wiener Straße 48 Raum 016 Um Anmeldung wird gebeten.
von Prof. Dr. Oliver Fahle (Bochum) und M.A. Elisa Linseisen (Bochum) im Rahmen der Vortragsreihe „Figuren der Störung“.
Zeit: 26.10.2017, 18:30 Uhr
Ort: TU Dresden, Wiener Straße 48, Raum 004
von Prof. Dr. Sabine Sanio (München) im Rahmen der Vortragsreihe „Figuren der Störung“
Zeit: 11.07.2017 19 Uhr
Ort: TU Dresden, Wiener Straße 48, Raum 004
Themenheft
Behemoth. A Journal on Civilisation, Vol. 9, Nr. 1
Herausgegeben von: Lars Koch, Tobias Nanz, Johannes Pause
Aufsatz
Autoren: Lars Koch, Tobias Nanz, Johannes Pause
Herausgegeben von: dies.
Erschienen in: Behemoth. A Journal on Civilisation, Vol. 9, Nr. 1 (2016): Imaginationen der Störung
Aufsatz
Autor: Lars Koch
Herausgegeben von: ders., Tobias Nanz, Johannes Pause
Erschienen in: Behemoth. A Journal on Civilisation, Vol. 9, Nr. 1 (2016): Imaginationen der Störung
Tagung des ERC-Starting Grant »The Principle of Disruption«
16.–18. November 2017, Technische Universität Dresden
Angesichts der Persistenz ökonomischer, politischer und ökologischer
Krisen wird derzeit der Ruf nach neuen Ordnungen laut, welche die
Kontingenz und Dynamik moderner Wirklichkeiten in Stabilität und
Überschaubarkeit rücküberführen sollen. Wenn populistische
Bewegungen etwa versprechen, die aktuellen Migrationsbewegungen
in ‚geordnete Bahnen‘ zu lenken, und Politiker wie Donald Trump ihre
Erfolge vor allem Ordnungsversprechen zu verdanken scheinen,
geben sie vorderhand das Ziel einer sozialen Entstörung aus; zugleich
aber stören sie selbst bestehende Organisationsformen, denen sie die
Fähigkeit aberkennen, noch länger Ordnung stiften zu können. Parallel
hierzu suchen etablierte Ordnungen solche Störmomente präventiv
einzuhegen und bewegen sich damit ebenfalls innerhalb der Kippfigur
Ordnung/Störung.
Die Tagung befasst sich mit dieser Kippfigur Ordnung/
Störung, deren Wahrnehmung und Funktionalität über drei mögliche
Perspektivierungen rekursiv ausgelotet werden soll. Untersucht werden
Epistemologien, Imaginationen und Praktiken, die zum Tragen kommen,
wenn etablierte Ordnungssysteme gestört, gegeneinander ausgespielt
oder durch vermeintlich »neue Ordnungen« ersetzt werden sollen.
Vor diesem Hintergrund fragt die Tagung »New Order« nach nach Funktionen,
Realisierungsweisen und Reflexionen dieser Kippfigur in den Feldern von
Ästhetik, Politik und Theoriebildung.
Ort
Hülsse-Bau, Festsaal, Helmholtzstraße 10, 01069 Dresden
Programm
DONNERSTAG, 16. NOVEMBER 2017
13.30 Grußwort des Dekans der Fakultät Sprach-, Literatur-
Kulturwissenschaft Christian Prunitsch
Lars Koch: Begrüßung
DAS REALE DER ORDNUNG
14.00 – Tobias Nanz: Einführung und Moderation
14.15 – Reinhold Görling (Düsseldorf): »The world is a total mess« (Trump):
Der obszöne Genuss der Ordnung an der Störung
15.00 – Paula Diehl (Berlin): Trump und der Verlust der
Referenzen: Zu Populismus, Hyperrealität und
postfaktischer Politik
15.45 – Kaffeepause
16.30 – Johannes Völz (Frankfurt/M.): Trump und der
populistische Erscheinungsraum
17.15 – Niels Werber (Siegen): Disruptive Kommunikation:
Trumps Twittern als Krisenexperiment
FREITAG, 17. NOVEMBER 2017
AFFEKTPOLITIKEN DER ENT/STÖRUNG
10.00 – Christina Rogers: Einführung und Moderation
10.15 – Iris Därmann (Berlin): »Stealing away«: Flucht und
Freitod im transatlantischen Sklavenhandel
11.00 – Kai van Eikels (Berlin): Weder Staat noch Familie,
weder väterlich noch mütterlich: Wie sich zur Ordnung rufen?
11.45 – Kaffeepause
12.00 – Michaela Ott (Hamburg): Affektiv-epistemologische
(Un)Ordnungen
12.45 – Mittagspause
ÄSTHETIKEN GESTÖRTER ORDNUNG
14.00 – Anna Schürmer: Einführung und Moderation
14.15 – Ingar Solty (Berlin): Krisenkapitalismus und neuer
Realismus: Von der Tragödie des ›Leistungsträgers‹ zur
Ästhetik der Disruption?
15.00 – Friedhelm Marx (Bamberg): Störungen unterwegs.
Flughäfen im Werk Kathrin Rögglas
15.45 – Kaffeepause
16.30 – Matthias N. Lorenz, Christine Riniker (Bern):
»Knowing without going«? Zu Störung und
›Entstörung‹ in Christian Krachts und Eckhart Nickels
Gebrauchsanweisung für Kathmandu und Nepal
(2009/2012)
17.15 – Anna Häusler, Tanja Prokic (Dresden): Schöne alte
Welt. Zu SIGNAs Performance-Installation Das Heuvolk
Samstag, 18. NOVEMBER 2017
IMAGINATIONEN DER NEUORDNUNG
10.00 – Daniel Eschkötter: Einführung und Moderation
10.15 – Julika Griem (Frankfurt/M.): Ordnungs-Fantasien:
Das Büro als Keimzelle von Wissenschaft bei J.J.
Voskuil und Tom McCarthy
11.00 – Steffen K. Herrmann (Hagen): Revolution oder Reform?
Das Politische und die Politik
11:45 – Kaffeepause
12.00 – Felix Trautmann (Frankfurt/M.): Außerordentlich –
konform. Tocquevilles Angst und Schrecken vor der
Macht der Mehrheit
12.45 – Julia Prager (Dresden): Vorverhandeln: Occupy und die
Szene des Zukünftigen
Professur für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, Universität Siegen
Professur für englische und amerikanische Literatur, Universität Zürich
Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen
Professur für angewandte Medienwissenschaften, BTU Cottbus
Juniorprofessur für Medien und anthropologisches Wissen, Ruhr-Universität-Bochum
Technische Universität Dresden
Institut für Germanistik
Wiener Str. 48
01219 Dresden
lars.koch@tu-dresden.de
www.principleofdisruption.eu