Abstract von
Felix Trautmann

Außerordentlich – konform. Tocquevilles Angst und Schrecken vor der Macht der Mehrheit

Felix Trautmann (Frankfurt am Main)

Die demokratische Revolution gilt bis heute als der politische Bruch schlechthin. Zumeist wird sie als doppelte Operation beschrieben: Sie verbannt die bestehende Herrschaft als alte Ordnung – als Ancien Régime – in die Vergangenheit und beansprucht zugleich, eine neue Gesellschaft der Freien und Gleichen hervorzubringen. Die Einrichtung der neuen Ordnung, die auf der Instituierung subjektiver Rechte sowie der Etablierung einer politischen Öffentlichkeit beruht, wird durch Entscheidungsfindungs- und Willensbildungsprozesse gesichert, die dem Mehrheitsprinzip folgen. Doch gerade die Macht der Mehrheit als movens des Politischen scheint selbst alles andere als unproblematisch. Ihre Rolle als Garant der politischen Teilhabe und Deliberation kann sie nicht unmittelbar einlösen. Die Mehrheit schweigt bisweilen, geht fehl, lässt sich verführen oder täuschen. Die Mehrheit als konstituierende Macht demokratischer Politik wurde entsprechend als eine potentielle Bedrohung ihrer eigenen Grundlagen beschrieben. Doch mit welcher Begründung? Weil in ihr noch die alten Hierarchien wirken oder weil sich in ihr eine gänzlich neue, noch unbekannte Kraft manifestiert?

Zur Beantwortung dieser Frage liefern die Schriften Alexis de Tocquevilles entscheidende Stichworte: Im Unterschied zum Ancien Régime besticht ihm zufolge die neue Ordnung, deren Gegenwart und Zukunft er in Amerika gleichsam unter Laborbedingungen zu untersuchen glaubt, nicht nur durch einen egalitären und emanzipatorischen Geist. Sie besitzt zugleich ein ihr eigenes Verkehrungspotential, das regelrechte Zerrbilder der Gleichheit produziert. Als Mehrheitstyrannei, so Tocquevilles prominenteste Formel, die eine neue Form der Unfreiheit bedeute, stelle sie sogar die feudale Erfahrung der Knechtschaft in den Schatten. Doch was bedroht und unterwandert den Geist der neuen Gleichheit, wenn es nicht die Nachwirkungen der alten aristokratischen Ungleichheitsordnung sind? Auf diese Frage wiederum scheint Tocqueville selbst keine hinreichende Antwort zu geben, auch wenn sein Denken von einem äußerst feinen Gespür für die Bedrohungen – das Störungspotential – innerhalb der demokratischen Gesellschaft zeugt. Der Vortrag wird über Tocqueville hinaus Anschlüsse an diesen spezifischen Analysetypus eröffnen und das Verkehrungspotential der Gleichheit für die Gegenwart aktualisieren.