Zeit: 7.12.2013, 12.15–14.00
Ort: Universität Duisburg-Essen, Campus Essen
Lars Koch: »Das Ende der Bilder ist das Ende der Welt – Über Abel Ferreras 4:44 Last day on earth (2011)«
Ferraras Film reflektiert den Weltuntergang als ein Ende aller Bilder und stellt in den beiden Hauptfiguren Skye und Cisco die beiden Meisternarrative des ultimativen Störfalls – die christlich-spirituelle Apokalypse und die technisch-naturwissenschaftliche induzierte „kupierte Apokalypse“ (Klaus Vondung) – gegenüber. Während die männliche Hauptfigur in einem Exzess der (technisch ermöglichten) Kommunikation Halt zu finden versucht, stabilisiert sich die weibliche Hauptfigur durch das Malen von abstrakten Bildern, die alle um das Motiv der schwarzen Sonne kreisen. Der Vortrag möchte vor dem Hintergrund dieser Grundüberlegung Konstellation in einem ersten Schritt zeigen, auf welche tradierten Bildarsenale 4:44 zurückgreift und welche symbolischen Entstörungspraktiken sozialer und narrativer Art der Film dabei evaluiert. In einem zweiten Schritt soll 4:44 zu Lars von Triers Melancholia in Beziehung gesetzt werden, der ebenfalls 2011 in die Kinos kam, die Problematik des Weltendes aber mit ganz anderen ästhetischen Mitteln bearbeitet. Wie bei 4:44 spielt allerdings auch bei Melancholia die Frage nach dem Status des Bildes eine zentrale Rolle. Während Lars von Trier zu Wagner-Klängen in opulenten Bildern eines historischen Landguts schwelgt, ist es bei Ferrara das Provisorium eines schäbigen New Yorker Appartements, das in trüben, sich dem Melodrama verweigernden Bildern als Ort des Schlusspunkts in Szene gesetzt wird. Beide Filme sind gleichwohl als Experimentalanordnungen angelegt, die ihre Protagonisten dabei beobachten, wie diese sich ein Bild von einem Ende zu machen versuchen, das einerseits in der Tradition der (pop- )kulturellen Imagination immer schon omnipräsent ist, gleichzeitig aber den toten Winkel jeder Repräsentation markiert.
Sonja Lewandowski: »Der tote Winkel der Zerstörung in Lars von Triers Melancholia«
Lars von Triers Melancholia (2011) ist die Geschichte zweier existentieller Störungen: das drohende Weltende wird mit der psychischen Erkrankung der weiblichen Hauptfigur Justine parallelisiert. Der Vortrag soll in einem ersten Schritt das sich anbahnende apokalyptische Geschehen als melancholisches Phantasma Justines rekonstruieren, die ihren Leidensweg mithilfe des apokalyptischen Traums in eine Erlösungsgeschichte verkehrt. Dabei kann der nahende Planet Melancholia als Entäußerung (als „Schwarze Sonne“ im Sinne Julia Kristevas) der Melancholie Justines gelesen werden, die als Träumerin der Apokalypse eine Allegorie für ihr Leiden schafft, und daran zu gesunden scheint. Im Vortrag soll nachgezeichnet werden, wie innerer und äußerer Untergang die initialen Krankheits- beziehungsweise Normalitätszuschreibungen der Figuren auf den Kopf stellen.
In einem zweiten Schritt geht der Vortrag in einem close reading der von Melancholia verhandelten Darstellungsproblematik des Weltuntergangs sowie der Melancholie nach: Die psychische Verstörung der Protagonistin ebenso wie der kollektive Tod der Menschheit widersetzen sich zunächst einer bildhaften Darstellung und markieren damit quasi den blinden Fleck des filmischen Wahrnehmungsraumes. Wie zu zeigen ist, findet von Trier aber in der Figur der Allegorie eine inszenatorische Möglichkeit der Annäherung an eine Darstellung und ein Verständnis beider existentieller Katastrophen. Durch die wechselseitige Verweisung ist es möglich, die Aufmerksamkeit von der einen Störung auf die andere umzulenken. Durch geteilte Sinnbilder gelingt es, den toten Winkel des Erlebens, der Kommunikation und der Zeichen zu überbrücken.