Affektiv-epistemologische (Un)Ordnungen
Michaela Ott
Der epistemologische Umbruch, den Michel Foucault gegenüber der Sartre’schen Phänomenologie Mitte der 1960er Jahren vollzieht, versteht sich als Etablierung einer neuen strukturellen Ordnung: diese soll als Bedingung der Möglichkeit von anderen, nicht-personen und -existenzgebundenen Aussagen zugleich Garant von Wissenschaftlichkeit sein. Dieses emphatische Ordnungsverständnis geht einher mit der Ablehnung vorangehender philosophischer Sprechhaltungen und ihres als verlogen erkannten Humanismus; an deren Stelle sollen nun autorlose Diskurse und ein Verständnis des Menschlichen als Teil einer umfassenderen Äußerungsstruktur treten. Dabei begegnet diese neue Methodologie der Schwierigkeit, diachron und synchron zugleich operieren, von der Ordnung abweichende Strukturen wie das Gefängnis oder die Klinik sowohl genealogisch wie systematisch zum Sprechen bringen zu wollen.
Auch in den philosophischen Ausführungen von Deleuze und Guattari wird nach einem Grundlegungsprinzip gesucht, das nun freilich allein in der Zeitlichkeit – interessanterweise in Rückgriff auf Merleau-Pontys Nachkriegsphänomenologie – gefunden und gerade jedem Ordnungsstreben als alle epistemologischen Raster notwendig entgründend und transformierend entgegengesetzt wird. Bekanntlich fordern sie die Beachtung transversaler Affizierungen und sich vollziehender Verschiebungen auf unterschiedlichen Ebenen: zwischen akademischen Disziplinen und epistemischen Ordnungen, zwischen für als gattungsfremd erklärten Lebewesen, zwischen kulturell geschiedenen Äußerungsweisen, zwischen Mensch und Tier usf. Die von Foucault untersuchten »Anormalen« werden hier einem verallgemeinerten Programm des Anormal- und Anders-Werdens ausgesetzt.
Aus heutiger, postkolonial informierter Sicht lässt sich gleichwohl erkennen, dass auch ihr Bestreben, dem vor allem sprachlich kodierten Ordnungsschema zu entkommen, das sein »Außen« gleichwohl in kanonisierten Literaturen verortet, kulturell gebunden und damit, wie häufig kritisiert, nur »provinziell« ausgerichtet war. Im hiesigen Fragekontext soll daher dem Problem nachgegangen werden, dass die methodologisch-affektiven Innovationen von Foucault und Deleuze/Guattari zwar zahlreiche erkenntnistheoretische Erweiterungen im Bereich der symbolischen Ordnungen oder hinsichtlich der Beachtung minoritärer Affizierungs- und Abweichungsvorgänge auf den Weg gebracht haben, zugleich aber doch in einem westlichen Wahrnehmungsrahmen verblieben sind. Die kulturell Anderen, selbst wenn sie in Frankreich lebten und sich z.B. filmisch artikulierten, wurden weitgehend nicht beachtet und in die Unordnungsphantasien integriert.
Unsere politische Gegenwart verhält sich auf ihre Weise zu diesem Problem. Auf der einen Seite wird ein bis vor kurzem nicht-anerkanntes Unordnungsverhalten in die politische Ordnung – als Ehe für alle und als neuer Freiheitsspielraum für Staatsbürger*innen – integriert; auf der anderen Seite werden nicht-europäische Andere, Asylsuchende und Flüchtlinge, umso mehr als Außen wahrgenommen und in verschiedenen Zwangsordnungen, in Auffanglagern oder MUFs, festgesetzt, kleinteilig reglementiert und symbolisch malträtiert. Regulierte symbolische Unordnung einerseits und verwaltungstechnisch geregelte Zwangsordnung andererseits, von digital-unsichtbaren Überwachungsprogrammen und neoliberal deregulierten Zwangsmechanismen verstärkt, regieren die bundesdeutsche Wirklichkeit der Gegenwart. Darüber wird zu sprechen sein.