Abstract von
Lorenz/Riniker

»Knowing without going«? Zu Störung und ›Entstörung‹ in Christian Krachts und Eckhart Nickels Gebrauchsanweisung für Kathmandu und Nepal (2009) und der überarbeiteten und ergänzten Neuausgabe (2012)

Matthias N. Lorenz / Christine Riniker

Der Beitrag befasst sich mit unterschiedlichen Aspekten von Ordnung, Störung und ›Entstörung‹ in Christian Krachts und Eckhart Nickels Gebrauchsanweisung für Kathmandu und Nepal, die 2009 erschien und 2012 noch einmal für eine Neuausgabe überarbeitet wurde. Es wird analysiert, wie sich die Störung etablierter produktions- und rezeptionsseitiger Ordnungsmuster in der Erstausgabe auf unterschiedlichen Ebenen manifestiert. Die Kippfigur Ordnung/Störung wird bereits im Titel evoziert, der den Begriff der Gebrauchsanweisung, einer stark nach ordnenden Mustern realisierten Textsorte, mit der irritierenden Spezifikation »für Kathmandu und Nepal« ergänzt, die eine logische Hierarchisierung von Land und Hauptstadt unterläuft. Tatsächlich ›stört‹ der Text die auf einen (literarischen) Reiseführer eingestellten Rezeptionserwartungen auf vielfältige Weise, wie sich anhand von Rezensionen ablesen lässt, die unter anderem Verstöße gegen Darstellungs- und Sagbarkeitsregeln monieren. Die formale Gestaltung eines zur Reihe »Gebrauchsanweisung für…« des Piper Verlags gehörenden Sachbuchs steht in einem Spannungsverhältnis zu den enthaltenen literarischen Texten, die durch intertextuelle Bezüge, kontrafaktisches und unzuverlässiges Erzählen die in der Reihe etablierten narrativen Konventionen, wie etwa die Inszenierungen ›authentischer‹ Kultur- und Fremdheitserfahrungen und die Zweckorientierung der ›Gebrauchstexte‹, unterlaufen. Der Text beziehungsweise das Textkollektiv der ›Kathmandu-Texte‹ von Kracht und Nickel verunmöglicht so eine konventionelle gattungstypologische Zuordnung dieser Form von Reiseliteratur, bei der eine Unterscheidung zwischen Reiseberichten und fiktionaler Reiseliteratur zumeist an die Instanz der Autorperson/en und die ›Nachweisbarkeit‹ der beschriebenen Reise zurückgebunden wird.

Des Weiteren wird untersucht, in welchem Verhältnis die Änderungen, Streichungen und Ergänzungen in der Neuausgabe zu den beschriebenen Grenzverletzungen und -überschreitungen stehen, die teilweise – so die Arbeitshypothese – Ordnungsmuster, die die Reihe »Gebrauchsanweisung für…« auszeichnen, insbesondere in den Peritexten zu restituieren versuchen und ›Störungen‹ wie manifeste faktische Fehler emendieren, während die Änderungen im Haupttext Irritationsmomente verstärken und so den fiktionalen Charakter des Textes stärker ausstellen.