Ordnungs-Fantasien: Das Büro als Keimzelle von Wissenschaft bei J.J. Voskuil und Tom McCarthy
Julika Griem
Gerade in post-heroischen Zeiten zehren Selbstbeschreibungen von Wissenschaft von einer heroischen Tradition. In dieser werden Störungen auf vielfältige Weise als positive Verstörungen konnotiert: Es gilt, Oberflächen zu durchdringen und Grenzen zu überschreiten, Gewohntes zu ignorieren, Vertrautes zu verfremden und Überraschendes zu befördern. Viele traditionelle Leitmotive und neue buzzwords wissenschaftlicher und wissenschaftspolitischer Kommunikation lassen sich in diesem Kontext ansiedeln: Das »serendipity principle« verpflichtet zur Offenheit für Unvorhersehbares; der Kult der Innovation bedient sich bei Management-Idealen disruptiver Kreativität.
In literarischen Erzählungen von Wissenschaft geht es häufig darum, heroisch konturierte Störungen entweder zu glorifizieren oder zu banalisieren. Ich möchte in meinem Vortrag zwei sehr unterschiedliche Romanprojekte behandeln, die bei näherem Hinsehen komplementäre narrative Formen für die Lage von Wissenschaft in postheroischen Zeiten finden. Beide wählen die Anthropologie als Beispiel: Tom McCarthy erzählt in Satin Island (2015) davon, wie sich ein Kultur-Anthropologe nach der (Selbst-)Abwicklung der Universitäten als Theorie-Zerstäuber bei einem Kreativ-Konzern verdingt. J.J. Voskuils 7-bändige Romanserie Das Büro (1996-2000) liefert einen Gegenentwurf zu McCarthys Momentaufnahme: Hier können wir auf über 5000 Seiten verfolgen, wie ein niederländisches Volkskunde-Institut sich nach dem Zweiten Weltkrieg in alltäglicher Mikro-Rebellion gegen Strukturreformen zur Wehr setzt. Gegensätzlicher ließe sich nicht von den Ordnungen erzählen, denen sich wissenschaftliche Träume von kreativer Unordnung verdanken. Beide Erzählwerke markieren aber unheroische Zusammenhänge von Institution und Organisation als wissenschaftliche Schauplätze und Schlachtfelder der Kippfigur, die im Zentrum der Tagung steht.